05.05.2017

Hebammentag 2017: Eine Systemänderung muss her!

Mehr als 600 Menschen haben bei der Protestaktion in Düsseldorf Alarm geschlagen. Denn so sieht es aus in Deutschland: Steigende Geburtenzahlen, Klinikschließungen, Berufsflucht der Hebammen, unversorgte Mütter, Kinder und Familien. Und die Entscheider gucken zu. Oder gucken sie weg?

"Muss erst das Schlimmste passieren, damit sich etwas ändert?", fragt Barbara Blomeier, 1. Vorsitzende des Landesverbandes der Hebammen NRW in ihrer Rede am 5. Mai, die Sie hier nachlesen können.

Barbara Blomeier: "Wir fordern:

  • Vernünftige Finanzierung der Geburtshilfe  - raus aus dem Fallpauschalensystem!
  • Wahlfreiheit des Geburtsortes - Erhalt kleiner geburtshilflicher Abteilungen!
  • 1:1-Betreuung als Selbstverständlichkeit - ausreichend Hebammen im Kreißsaal!
  • gute Arbeitsbedingungen in den Kliniken - weg mit Chefarztsprechstunde, Assistenz in der Ambulanz, Putzen im Kreißsaal, Vorzimmerdame in der Anmeldung und so weiter!
  • Planungssicherheit für Freiberufliche – her mit dem Haftungsfonds und Schluss mit der Prämienspirale!
  • Und zum Schluss: Fördern von neuen Konzepten von Hebammenarbeit in den Kommunen!

Bund, Länder, Städte und Gemeinden müssen endlich Verantwortung übernehmen und Taten sehen lassen. Eine Systemänderung muss her.[...] Der neuen Landesregierung gebe ich hiermit auf den Weg: legen Sie sich fest! Schreiben Sie sich die flächendeckende, wohnortnahe Versorgung mit Hebammenhilfe auf die Fahnen! Zementieren sie es im Koalitionsvertrag! Ich verspreche, wir werden hilfreich zur Seite stehen, wenn es an die Umsetzung geht.

Hebammen können lange warten, ganz lange. Aber sie können auch ganz schnell zupacken, wenn es nötig ist. Jetzt ist es nötig. Wir krempeln die Ärmel hoch und starten durch!"

Mit ihren Wortbeiträgen auf der Protestveranstaltung halten weitere Rednerinnen engagierte Plädoyers für eine Zukunft der Geburtshilfe:

Susanne Steppat, Präsidiumsmitglied des Deutschen Hebammenverbandes, DHV: „ Ein dickes Dankeschön auch an alle Eltern, die sich auf den Weg gemacht zu haben, um mit uns für eine gute Geburtshilfe zu streiten.  
„Hebammen, Mütter und Familien: Partnerschaft fürs Leben!" – das ist dieses Jahr das Motto des Internationalen Hebammentages.  Dass Sie uns heute unterstützen  zeigt, wie wichtig Ihnen diese Partnerschaft war.  Das bedeutet uns Hebammen – und da spreche ich sicher für alle Kolleginnen – sehr viel.
Und nicht zuletzt „danke“ an alle Unterstützerinnen und Unterstützer, die sich mit uns gemeinsam für gute Versorgung von Schwangeren und Müttern einsetzen. Denn um nichts weniger als das geht es uns! Unsere Forderungen nach besseren Rahmenbedingungen für die Arbeit von Hebammen sind wichtig.
Ja, wir fordern würdevolle Arbeitsbedingungen für Hebammen, Zeit für Pausen, die uns zustehen und geregelte Dienste
Ja, wir fordern eine qualitätsorientierte Personaldecke. Eine, die Zeit für das Wesentliche lässt: für die Frau, für das Kind und für den Partner/die Partnerin
Ja - und wir fordern endlich eine gerechte Bezahlung- Eine,  die unsere grosse Verantwortung widerspiegelt.  
Wir fordern aber noch viel mehr:  Wir fordern einen Wandel in unserer Geburtskultur!   Dafür brauchen wir bessere Rahmenbedingungen.  Wir brauchen darüber hinaus auch einen Wandel in den Köpfen und in den Herzen.
Mit zwölf Thesen für eine gute Geburtshilfe möchten wir als Deutscher Hebammenverband diese Debatte anstoßen. Sie drücken aus, wie wir Hebammen als professionelle Partnerinnen Frauen während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett begleiten möchten. Ich habe diese Thesen an alle Kreißsäle, an alle Hebammenausbildungsstätten und an alle Chefärztinnen und –Ärzte geschickt mit der Einladung, sich uns anzuschließen!
Sie haben einige der Thesen sicherlich schon auf den Plakaten gelesen. Lassen Sie mich Ihnen diese dennoch einmal insgesamt vorstellen:
 1.    Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett sind natürliche und besonders schützenswerte Vorgänge im Leben von Frauen. (Die man in Ruhe ablaufen lassen muss)
 2.    Schwangere und Mütter haben in diesen Lebensphasen das Recht auf eine respektvolle und individuelle Betreuung und Begleitung durch Hebammen.
 3.    Hebammen unterstützen bei diesen natürlichen Lebensprozessen. Sie schützen, wahren und fördern die körperliche und seelische Gesundheit der Frauen und ihrer Kinder.
Dies steht an oberster Stelle bei jeder Begleitung durch Hebammen.
 4.    Jede Geburt und jede Frau haben ihren eigenen Rhythmus – sie bekommen die Zeit, die sie benötigen.
 5.    Damit jede Frau an einem von ihr selbst gewählten Ort gebären kann, muss ihr ein ausreichendes Angebot an Betreuungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen.
 6.    Schwangeren und Gebärenden steht jederzeit ein geschützter Raum, die Wahrung ihrer Intimsphäre sowie Verschwiegenheit zu.
 7.    Während der Geburt hat jede Frau das Recht, kontinuierlich durch eine Hebamme begleitet zu werden, die sich ausschließlich um sie kümmert. Eine solche Eins-zu-eins-Betreuung wird von jeder Hebamme angestrebt.
 8.    Hebammen erfüllen alle ihre Aufgaben bestmöglich unter den gegebenen Umständen und unabhängig von wirtschaftlichen Interessen.
 9.    In den natürlichen Geburtsvorgang sollen Hebammen und Ärzte nur eingreifen, wenn die Gesundheit der Frau oder des Kindes bedroht sind.
 10.    Frauen haben das Recht, vor jedem Eingriff in das Geburtsgeschehen verständlich und nachvollziehbar darüber aufgeklärt zu werden, was genau passieren wird.
So können sie gemeinsam mit denjenigen, die sie betreuen, informierte und verantwortungsvolle Entscheidungen über ihren Körper treffen.
 11.    Die Werte von Frauen und ihre Entscheidungen sind zu respektieren.
 12.    Die Stärkung der Kompetenzen und Handlungsmöglichkeiten der Frauen stehen im Fokus aller Überlegungen und allen Tuns.
Jede dieser Thesen sollte längst selbstverständlich sein.
Lassen Sie uns gemeinsam dafür Sorge tragen, dass sie in Zukunft selbstverständlich sind!  Denn: Auf den Anfang kommt es an!!

MotherHood, Elterninitiative, Katharina Desery, Vorstand: "Mein Name ist Katharina Desery vom Verein Mother Hood und ich möchte hier für alle Familien sprechen! Denn wir Familien sind es, die von der aktuellen Situation in der Geburtshilfe am stärksten betroffen sind! Wir sind die Leidtragenden, wenn immer mehr Hebammen aus ihrem Beruf aussteigen müssen. Uns betrifft es zuallererst, wenn Geburtsstationen einfach geschlossen werden.

Immer öfter müssen Frauen in überfüllten Kreißsälen ihre Kinder bekommen. Immer öfter reicht das Personal nicht aus, um eine Geburt sicher zu betreuen. Immer mehr Frauen fahren unter Wehen weite Wege bis zur nächsten Klinik - weil sie von einem überfüllten Kreißsaal abgewiesen wurden, oder die Geburtsstation in der Nähe dicht gemacht hat. Wir Eltern sind mit unseren Fragen allein, wenn wir keine Hebamme für die Wochenbettbetreuung gefunden haben – und sitzen stattdessen mit unseren Neugeborenen in den Wartezimmern von Kinderärzten und Notfallambulanzen. WIR SIND BETROFFEN!!

Wir lassen es uns nicht länger gefallen, dass die Gesundheit unserer Kinder, schon bei der Geburt auf´s Spiel gesetzt wird. Wir haben deshalb die bundesweit aktive Elterninitiative Mother Hood gegründet, um auf diese Missstände in der Geburtshilfe aufmerksam zu machen! Wir fordern von Politikern, Vertretern der Krankenkassen und Krankenhäuser sich gemeinsam mit uns für eine Lösung der Probleme einzusetzen!
Wir brauchen eine gute und sichere Betreuung während Schwangerschaft, Geburt und in der Zeit danach. Und um diese Betreuung sicherzustellen, brauchen wir genügend Hebammen – damit unsere Kinder einen guten und sicheren Start ins Leben haben!"

Hebamme Raica M. Vermeegen: "Das geburtshilfliche Team vom Vinzenz-Pallotti Hospital in Bensberg hat ab diesem Jahr eine Geburtenobergrenze  eingeführt. Damit soll eine weiterhin sichere Geburtshilfe und eine stemmbare zugewandte Geburtsbegleitung durch unsere Anzahl der vorhandenen Hebammen, Beleghebammen und Ärzte möglich sein. Dies ist eine Konsequenz, da es ca. 1.920 Geburten waren, die das Team, auch mit unseren Räumlichkeiten, zum Handeln aufgefordert haben. Die Geburtenobergrenze bedeutet auch eine bittere Konsequenz für die Zukunft der Familien, die zu uns kommen wollen und die Wahlfreiheit für den Ort der Geburt, die damit zur Farce werden kann. [...]"