Beitrag vom 01.11.2025
Nun ist es raus: Der neue Hebammenhilfevertrag tritt in Kraft
Am heutigen 1. November 2025 tritt der neue Hebammenhilfevertrag (HHV) in Kraft. Für viele Hebammen bedeutet das keine Entlastung, sondern neue Unsicherheiten. Der Landesverband der Hebammen NRW warnt vor den Folgen für die geburtshilfliche Versorgung und fordert Politik und Krankenkassen weiterhin zum Handeln auf.
Neuer Hebammenhilfevertrag tritt in Kraft – viele Hebammen blicken in eine ungewisse Zukunft
Am heutigen 1. November 2025 tritt der neue Hebammenhilfevertrag (HHV) in Kraft. Anstatt Erleichterung zu bringen, sorgt er bei vielen Hebammen für tiefe Verunsicherung. In zahlreichen Bereichen – insbesondere in der klinischen Geburtshilfe und bei Beleghebammen – drohen Verdiensteinbußen von bis zu 30 Prozent. Auch in der freiberuflichen und außerklinischen Versorgung ist noch unklar, ob Hebammen ihre Tätigkeit wirtschaftlich weiterführen können.
„Mit dem neuen Vertrag gehen viele freiberuflich tätige Hebammen in die Ungewissheit, ob sie weiterhin von ihrem Beruf leben können“, erklärt Michelle Rump, Vorsitzende des Landesverbands der Hebammen NRW. „Hebammen haben schon immer Wandel gestaltet. Wir sind es gewohnt, für unseren Beruf und für die Familien zu kämpfen. Aber jetzt droht eine Zäsur, die die Versorgung insgesamt gefährdet.“
Strukturelle Schwächen gefährden Versorgungssicherheit
Die neuen Regelungen verändern Honorare, Abrechnungslogiken und Leistungsstrukturen grundlegend. Noch ist unklar, wie sich diese Vorgaben im Alltag auswirken – vor allem für Hebammen in Kliniken und Geburtshäusern, die ohnehin mit Fachkräftemangel und enormer Arbeitsbelastung kämpfen.
Rump betont: „Unsere Arbeitsbedingungen sind eng mit der Versorgung von Familien verbunden. Nur wenn unsere Arbeit unter tragfähigen Bedingungen organisiert und angemessen vergütet ist, kann auch ein sicheres Versorgungsnetz für Schwangere, Gebärende und junge Familien bestehen bleiben.“
Geburtshilfe in NRW schon jetzt unter Druck
Schon ohne den neuen Hebammenhilfevertrag steht die geburtshilfliche Versorgung in Nordrhein-Westfalen unter enormem Druck. Nur 38,6 Prozent der Krankenhäuser verfügen derzeit noch über eine geburtshilfliche Abteilung. Landesweit bestehen 18 Kreißsäle, die von Beleghebammen organisiert werden – in diesem System kamen im vergangenen Jahr rund 26.000 Kinder zur Welt.
Seit 2007 wurden in NRW rund 60 Kreißsäle geschlossen, neun davon allein seit 2024. Diese Entwicklung führt zu längeren Wegen für Familien, einer Verdichtung der Versorgung und einer zunehmenden Belastung der Hebammen.
„Das Netz der geburtshilflichen Versorgung ist vor allem in ländlichen Regionen schon jetzt löchrig“, warnt Michelle Rump. „Wenn sich Hebammen aufgrund des neuen Hebammenhilfevertrags aus der klinischen Geburtshilfe im Belegsystem zurückziehen, wird sich diese Situation weiter verschärfen. Davor warnen wir seit Monaten. Geburtshilfe muss endlich als gesellschaftliche Aufgabe verstanden werden, die nicht wirtschaftlichen Zwängen unterliegt.“
Studie zeigt alarmierende Tendenzen: Fast jede zweite Hebamme denkt ans Aufhören
Die aktuelle Hebammenstudie der opta data Zukunfts-Stiftung (2025) zeigt, wie tief die Krise bereits reicht: 43,6 Prozent der befragten Hebammen denken über einen Berufswechsel nach. Obwohl über 80 Prozent ihre Arbeit grundsätzlich als erfüllend empfinden, nennen viele massive Belastungen durch Bürokratie, unplanbare Arbeitszeiten, finanzielle Unsicherheit und mangelnde Wertschätzung.
„Die Studie zeigt deutlich: Viele Hebammen lieben ihren Beruf – aber sie können nicht mehr. Die Verantwortung ist enorm, die Entlohnung steht in keinem Verhältnis zur Qualifikation und Belastung“, so Rump.
Systemrelevanz braucht Anerkennung – auch finanziell
Hebammen sind systemrelevant. Sie stehen am Anfang jedes Lebens, begleiten Familien durch die sensibelsten Phasen und tragen entscheidend zur Gesundheit und Stabilität unserer Gesellschaft bei. Der Beruf ist heute vollständig akademisiert; Hebammen verfügen über ein hohes Qualifikationsniveau und unterliegen insbesondere in NRW einer strengen Fortbildungspflicht, die eine gleichbleibend hohe Versorgungsqualität sichert.
„Diese Professionalität muss sich endlich auch im Einkommen widerspiegeln“, fordert Rump. „Eine Gesellschaft, die eine hochwertige geburtshilfliche Versorgung als selbstverständlich hinnimmt, ohne diejenigen abzusichern, die sie möglich machen, gefährdet ihre eigene Zukunft.“
Appell an Politik und GKV-SV
Der neue Hebammenhilfevertrag ist kein Fortschritt, sondern ein Risiko für die Geburtshilfe in Deutschland. Der Deutsche Hebammenverband (DHV) unternimmt seit Wochen und Monaten in Gesprächen, Verhandlungen und auch auf dem Rechtsweg intensive Bemühungen, um tragfähige Lösungen zu erreichen.
Nun sind der GKV-Spitzenverband und die Politik gefordert, endlich ebenso intensive und ernsthafte Anstrengungen zu unternehmen, damit dieser Vertrag nicht mit voller Wucht auf die Geburtshilfe durchschlägt und bestehende Strukturen weiter schwächt.
„Wir kämpfen weiter“, betont Michelle Rump. „Aber wir brauchen endlich die politische und gesellschaftliche Anerkennung, die unserer Verantwortung entspricht. Der DHV mit seinen 22.500 Mitgliedern steht geschlossen hinter diesem Ziel.“



